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Charismatische Führungsvorbilder in deutschen Balladen?

27. Juni 2025 by Martin Haase

Mar­tin Haase / © pri­vat

Die Frage nach ethis­ch­er Führung ist ein zen­trales The­ma in den Wirtschafts‑, Sozial- und Geis­teswis­senschaften. Ver­trauen­skrisen, Führungsver­sagen und autoritäre Ten­den­zen zeigen, dass Charis­ma als Führungskom­pe­tenz nur dann Bestand hat, wenn es auf ethis­chen Prinzip­i­en basiert. Die deutsche Lit­er­atur bietet hierzu zahlre­iche Denkan­sätze. Ins­beson­dere klas­sis­che Bal­laden aus dem 18. und 19. Jahrhun­dert zeigen Fig­uren, deren Führungsanspruch, Ein­fluss oder moralis­che Wirkung zwis­chen Charis­ma und ethis­ch­er Integrität liegen.

Ethis­che Führung — ein mod­ern­er Bezugsrah­men
Die The­o­rie der ethis­chen Führung beschreibt ein Ver­hal­ten, das von Fair­ness, Integrität, Ver­ant­wor­tungs­be­wusst­sein sowie der Aus­rich­tung am Gemein­wohl geprägt ist. Eine Führungskraft ist dabei nicht nur ein moralis­ches Vor­bild, son­dern schafft auch aktiv ein Umfeld, in dem ethis­ches Ver­hal­ten gefördert und Fehltritte geah­n­det wer­den.

Charis­ma kann hier­bei stärk­end wirken, ent­fal­tet seine pos­i­tive Kraft jedoch erst mit moralis­ch­er Ver­ant­wor­tung, wie die Bal­laden­dich­tung zeigt. Ohne diese Ver­ankerung dro­ht Charis­ma in Manip­u­la­tion, Macht­miss­brauch oder Führungsver­sagen umzuschla­gen.

Deutsche Bal­laden als nar­ra­tive Mod­elle ethis­ch­er Führung
Die deutsche Bal­laden­tra­di­tion, beson­ders die Werke Friedrich Schillers, bietet lit­er­arische Szenar­ien, die Aspek­te ethis­ch­er Führung beispiel­haft darstellen. Die Fig­uren han­deln oft in Gren­zsi­t­u­a­tio­nen, die eine moralis­che Hal­tung, Mut und Ver­ant­wor­tungs­be­wusst­sein erfordern. Dies sind klas­sis­che Eigen­schaften ethisch begrün­de­ter Führung.

Ein her­aus­ra­gen­des Beispiel ist Schillers ​„Die Bürgschaft” (1799). Die Fig­ur des Damon verkör­pert per­sön­liche Integrität und Ver­lässlichkeit und führt durch ihr vor­bild­haftes Han­deln einen gesellschaftlichen Trans­for­ma­tion­sprozess her­bei. Seine Bere­itschaft, das eigene Leben für sein Wort und die Fre­und­schaft einzuset­zen, zeigt höch­ste ethis­che Prinzip­i­en wie Aufrichtigkeit, Ver­ant­wor­tung und Gemein­wohlo­ri­en­tierung. Bemerkenswert ist, dass Damon keine for­male Macht­po­si­tion innehat. Seine Führungswirkung ent­fal­tet sich allein über moralis­che Autorität und ein glaub­würdi­ges Vor­bild.

Die Bal­lade zeigt zudem den Lern­prozess des Herrsch­ers König Dionys. Dionys’ Wan­del vom willkür­lichen Tyran­nen zum ein­sichti­gen Fürsten verdeut­licht, dass ethis­che Führung nicht sta­tisch, son­dern prozesshaft und entwick­lungs­fähig ist. Diese Erken­nt­nis deckt sich mit aktuellen Führungs­the­o­rien.

Einen ambiva­len­ten Gege­nen­twurf dazu bietet Goethes ​„Erlkönig” (1782). Die charis­ma­tis­che Fig­ur des Erlkönigs überzeugt durch sprach­liche Ver­führung, emo­tionale Manip­u­la­tion und schein­bare Für­sorge – alles Merk­male, die ober­fläch­lich an Führungsqual­itäten erin­nern. Doch hier fehlt die ethis­che Basis, die das Charis­ma in den Dienst der anderen stellt. Stattdessen miss­braucht der Erlkönig seine Ausstrahlung zu ego­is­tis­chen Zweck­en, was zum Tod des Kindes führt. Lit­er­arisch illus­tri­ert diese Kon­stel­la­tion, was die neuere Forschung als ​„destruk­tive Führung” oder die ​„dun­kle Seite charis­ma­tis­ch­er Führung” beze­ich­net.

Auch Schillers ​„Der Tauch­er” lässt sich unter dem Aspekt ethis­ch­er Führung inter­pretieren. Die Erzäh­lung the­ma­tisiert Mut und Opfer­bere­itschaft, wirft aber zugle­ich Fra­gen nach Ver­ant­wor­tungs­be­wusst­sein auf. Während sich der junge Tauch­er selb­st­los ein­er gefährlichen Auf­gabe stellt, sind das Ver­hal­ten des Königs von Eigen­nutz und Macht­demon­stra­tion geprägt. Hier zeigt sich ein Kon­trast zwis­chen ethis­ch­er Selb­st­führung und autoritär­er Mach­tausübung.

Seit mein­er Kind­heit fasziniert mich die Dichtkun­st deutsch­er Bal­laden. Neben ihrem ästhetis­chen Reiz und der sprach­lichen Meis­ter­schaft bieten sie Erzählräume, in denen exis­ten­tielle Gren­zsi­t­u­a­tio­nen und moralis­che Bewährung­sproben verdichtet dargestellt wer­den. Ger­ade diese Kon­stel­la­tio­nen erlauben es, klas­sis­che Bal­laden im Licht mod­ern­er Führungs­diskurse zu betra­cht­en.

Ein ein­drucksvolles Beispiel hier­für ist Theodor Fontanes Bal­lade ​„John May­nard” (1886). Die Geschichte des amerikanis­chen Steuer­manns, der das bren­nende Pas­sagier­schiff ​„Erie” trotz eigen­er Todes­gewis­sheit sich­er ans Ufer lenkt, zeigt ein Mod­ell selb­st­los­er, ver­ant­wor­tungs­be­wusster Führung, das bis heute nichts an Strahlkraft einge­büßt hat.

John May­nard verkör­pert eine Form charis­ma­tis­ch­er Führung, die voll­ständig auf ethis­ch­er Integrität beruht. Seine Ausstrahlung resul­tiert nicht aus rhetorisch­er Bril­lanz oder for­maler Macht, son­dern aus der stillen Größe eines Men­schen, der in höch­ster Gefahr die Ver­ant­wor­tung für andere übern­immt – entschlossen, mutig und selb­st­los. Während die Pas­sagiere von Angst und Panik erfasst sind, bleibt May­nard ruhig. Er äußert keine marki­gen Parolen und insze­niert sich nicht als Held – und doch wird er durch sein Han­deln zu ein­er Führungsper­sön­lichkeit, die über den Tod hin­aus verehrt wird.

In der Bal­lade ste­ht dabei weniger das hero­is­che Pathos im Vorder­grund als die unaufgeregte Kon­se­quenz ethis­chen Han­delns. John May­nard erfüllt seine Pflicht nicht aus Ruhm­sucht oder extrin­sis­ch­er Moti­va­tion, son­dern aus einem tief verin­ner­licht­en Ver­ant­wor­tungs­be­wusst­sein gegenüber den Men­schen an Bord. Seine charis­ma­tis­che Wirkung speist sich aus dieser stillen moralis­chen Größe. Dies entspricht dem Ide­al der ​„Ser­vant Lead­er­ship”, wie es in mod­er­nen Führungs­the­o­rien beschrieben wird.

Bemerkenswert ist zudem, dass Fontane den gesellschaftlichen Res­o­nanzraum dieses Han­delns aufzeigt. Die geretteten Men­schen ehren John May­nard posthum und seine Tat wird moralisch über­höht. Damit ver­weist die Bal­lade auf einen weit­eren Aspekt ethis­ch­er Führung: Ihre Wirkkraft ent­fal­tet sich nicht im Moment, son­dern prägt langfristig die Wertege­mein­schaft, die von ihr berührt wird.

So ste­ht ​„John May­nard” am anderen Ende des Spek­trums destruk­tiv­er Führung, wie sie der Erlkönig verkör­pert. Während das Charis­ma des Erlkönigs in Manip­u­la­tion und Verder­ben mün­det, ent­fal­tet es hier seine kon­struk­tive Kraft durch Ver­ant­wor­tungs­be­wusst­sein, Integrität und den Ein­satz für das Wohl ander­er.

Bal­laden als ethis­che Reflex­ion­sräume
Die genan­nten Beispiele zeigen: In deutschen Bal­laden wird Führung als moralisch aufge­ladene Kat­e­gorie dargestellt. Sie zeigen nicht nur charis­ma­tis­che Helden oder Herrscher­fig­uren, son­dern beschäfti­gen sich auch mit der Frage, wann Charis­ma zu echter Führungsqual­ität reift – näm­lich dann, wenn es mit ethis­ch­er Ver­ant­wor­tung, Integrität und Gemein­wohlo­ri­en­tierung ver­bun­den ist.

Damit leis­ten Bal­laden einen Beitrag, der über ästhetis­chen Genuss hin­aus­ge­ht: Sie bieten Erzählräume für eine kri­tis­che Auseinan­der­set­zung mit Führungsethik – eine Dimen­sion, die angesichts aktueller gesellschaftlich­er und organ­i­sa­tionaler Her­aus­forderun­gen nichts an Rel­e­vanz ver­loren hat.

Deutsche Bal­laden präsen­tieren ein­drück­lich, dass Charis­ma allein keine aus­re­ichende Bedin­gung für vor­bildliche Führung ist. Erst in Verbindung mit ethis­chen Prinzip­i­en wie Ver­ant­wor­tungs­be­wusst­sein, Integrität und dem Ein­satz für das Wohl ander­er ent­fal­tet charis­ma­tis­che Führung ihre kon­struk­tive Kraft. Gle­ichzeit­ig sen­si­bil­isieren die Bal­laden für die Gefahren charis­ma­tis­ch­er Ver­führung ohne moralis­ches Fun­da­ment. Die lit­er­arischen Fig­uren bieten somit keine unkri­tis­chen Vor­bilder, son­dern kom­plexe Pro­jek­tions­flächen, an denen sich bis heute zen­trale Fra­gen mod­ern­er Führungsethik reflek­tieren lassen.

Kategorie: Essay Stichworte: balladen, charisma, ethicalleadership, fontane, führung, goethe, leadership, literatur, schiller, servantleadership

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